Von zwei interessanten Erörterungen der Zukunft des Kapitalismus lässt sich berichten:
I.
Das Ende desselben prophezeit der freie Journalist Peter Zudeick im NDR-Podcast: Der Kapitalismus stelle ein System dar, in dem der Mensch nicht die maßgebliche Rolle spiele. Die Folgen sind bekannt: Wenige leben in Saus und Braus, viele kommen gerade so über die Runden, Millionen gehen einfach drauf. Laut Zudeick muss das Bewußtsein weiter wachsen, dass der Kapitalismus nicht ohne Alternative ist. Gemeinsam lässt sich dann das kapitalistische System überwinden, eine menschlichere Wirtschaftsordnung etablieren. Ein Fundament für das Neue sieht Zudeick dabei längst gelegt.
Schön wär’s ja. Der Siegeszug des Humanismus – irgendwie muss ich dabei an die Broschüren denken, die die Zeugen Jehovas immer in den Fußgängerzonen verteilen: Eine Welt, in der Milch und Honig fließen, findet sich darin beschrieben, grenzenlose Liebe wird für die neuen, bald anbrechenden Zeiten prophezeit. Zu schön um hienieden wahr zu werden.
II.
Als Lösung, nicht als Problem beschreibt Fritz B. Simon den Kapitalismus in der FAZ. Denn der gewährleiste auf seine Art „die Produktion und Verteilung von Gütern, insbesondere von Gütern, die für das individuelle wie kollektive Überleben des Menschen notwendig sind“.
Der systemtheoretisch argumentierende Simon will kein Apologet des Kapitalismus sein, er beobachtet nur dessen gesellschaftliche Funktion:
Märkte sind dumm, ungerecht und moralfrei, denn sie verfolgen keine eigenen Ziele. Und das ist auch gut so. Denn nur aufgrund ihrer Blindheit gegenüber nichtwirtschaftlichen Bewertungen lassen sich wirtschaftliche Mechanismen für ganz widersprüchliche Werte und Zwecke nutzbar machen.
Das selbstreferentielle Wirtschaftssystem ist unerlässlich für das Funktionieren der Gesellschaft insgesamt. Und wie erklärt sich für Simon die Krise des Kapitalismus, die letzlich eine Krise der Gesellschaft insgesamt ist?
Die Ursachen der gegenwärtigen Krise sind relativ einfach zu identifizieren: Eine funktional differenzierte Gesellschaft gewinnt ihre Rationalität daraus, dass unterschiedliche Funktionssysteme wie Wirtschaft, Recht, Politik sich gegenseitig in ihrer Macht begrenzen und in Schach halten. Durch die von Margaret Thatcher und Ronald Reagan eingeleitete Selbstkastration der Politik ist diese Heterarchie der Funktionssysteme und ihrer Entscheidungskriterien zugunsten der hierarchischen Überordnung der Wirtschaft verändert worden.
Der Ruf nach der Politik, um das Gleichgewicht der Systeme wiederherzustellen? Das ist für einen Systemtheoretiker eher ungewöhnlich. Interventionen der Politik in die Wirtschaft richten, so lässt es sich den Schriften von Niklas Luhmann entnehmen, eher Schaden an als das sie nützen. Ist die Vorstellung einer Heterarchie der sozialen Systeme utopisch? Das wäre letzlich schlecht für die Zukunft der funktional differenzierten Gesellschaft – oder aber: die soziologische Systemtheorie taugt einfach nicht als Ratgeber in der gegenwärtigen Krise.