Ausgelesen: Zakhar Prilepins „Sankya“

Zum Inhalt: Vielen Jugendlichen im postsowjetischen Russland fehlt es an Orientierung und Halt. Sojusniki nennen sich etwa die jungen Anhänger einer skurrilen Partei, die dem Niedergang des Landes mit einer Mischung aus Punk, Anarchie und Blut-und-Boden-Ideologie begegnen. Feindbilder sind insbesondere der korrupte Staat und der Westen, der in Gestalt zynischer, antinationaler Liberaler Einzug gehalten hat. Es bleibt nicht bei bloßem Gerede, schließlich beginnen die Sojusniki eine aussichstlose Revolution gegen die übermächtigen Gegner.

In der Lobpreisung des Landvolks – den wahren Russen – und der dunklen Beschreibung der Stadt erinnert Prilepins „Sankya“ an die Werke Hamsuns. Allerdings fehlt es dem Buch an sprachlicher Kraft (Übersetzung?). Die Grübeleien des Hauptprotagonisten Sascha – oder auch: Sankya – sind zudem langweilig und unreif (wer braucht solche „Helden“?). Eine selbstmitleidige Verlierer-Philosophie, die schon als Fiktion traurig macht und in ihrer Plattheit beängstigend ist.

Leider handelt es sich nicht um reine Fiktion: Autor Zakhar Prilepin ist Mitglied der schrägen nationalbolschwistischen Bewegung Russlands. Beim Protagonisten handelt es sich offenkundig um sein Alter Ego. Bleibt zu hoffen, dass die aussichtslose Revolution Prilepins Wunschdenken (?) bleibt. Solch blutige Selbstfindung kann die Welt nicht auch noch gebrauchen.

Besenreines Nomadenleben

Kleiderschrank, Bücherregal und Tisch – alles von Ikea. Die ganze Habe passt leicht ins 15-Quadratmeter-WG-Zimmer. Die Musik liegt auf der Platte. Die Pflanzenschale mit etwas blühendem Grünzeugs gabs beim Baumarkt um die Ecke. Die Erinnerungsfotos sind in einer Minute abgehängt. Wenn es mit dem Transporter nicht klappt, kann man die billigen Möbel auch auf die Straße stellen. Hoffentlich nimmt sie jemand mit. Das Notebook ist verpackt. Achtung, die schweren Bücherkartons immer rückenschonend heben! Zimmerübergabe besenrein. Eine neue Stadt – die Fremde irritiert nicht lange. Neues Zimmer zur Zwischenmiete – gefunden im Internet. Alles okay: die Mitbewohner sind anscheinend nett. Wenn morgen auch bei der Arbeit alles akzeptabel ist, kann ich mich echt nicht beschweren. Jetzt aber nicht mehr denken – relaxen! Es ist doch Sonntagabend.

Vom Kapitalismus und anderen Utopien

Von zwei interessanten Erörterungen der Zukunft des Kapitalismus lässt sich berichten:

I.

Das Ende desselben prophezeit der freie Journalist Peter Zudeick im NDR-Podcast: Der Kapitalismus stelle ein System dar, in dem der Mensch nicht die maßgebliche Rolle spiele.  Die Folgen sind bekannt: Wenige leben in Saus und Braus, viele kommen gerade so über die Runden, Millionen gehen einfach drauf. Laut Zudeick muss das Bewußtsein weiter wachsen, dass der Kapitalismus nicht ohne Alternative ist. Gemeinsam lässt sich dann das kapitalistische System überwinden, eine menschlichere Wirtschaftsordnung etablieren. Ein Fundament für das Neue sieht Zudeick dabei längst gelegt.

Schön wär’s ja. Der Siegeszug des Humanismus – irgendwie muss ich dabei an die Broschüren denken, die die Zeugen Jehovas immer in den Fußgängerzonen verteilen: Eine Welt, in der Milch und Honig fließen, findet sich darin beschrieben, grenzenlose Liebe wird für die neuen, bald anbrechenden Zeiten prophezeit. Zu schön um hienieden wahr zu werden.

II.

Als Lösung, nicht als Problem beschreibt Fritz B. Simon den Kapitalismus in der FAZ. Denn der gewährleiste auf seine Art „die Produktion und Verteilung von Gütern, insbesondere von Gütern, die für das individuelle wie kollektive Überleben des Menschen notwendig sind“.
Der systemtheoretisch argumentierende Simon will kein Apologet des Kapitalismus sein, er beobachtet nur dessen gesellschaftliche Funktion:

Märkte sind dumm, ungerecht und moralfrei, denn sie verfolgen keine eigenen Ziele. Und das ist auch gut so. Denn nur aufgrund ihrer Blindheit gegenüber nichtwirtschaftlichen Bewertungen lassen sich wirtschaftliche Mechanismen für ganz widersprüchliche Werte und Zwecke nutzbar machen.

Das selbstreferentielle Wirtschaftssystem ist unerlässlich für das Funktionieren der Gesellschaft insgesamt.  Und wie erklärt sich für Simon die Krise des Kapitalismus, die letzlich eine Krise der Gesellschaft insgesamt ist?

Die Ursachen der gegenwärtigen Krise sind relativ einfach zu identifizieren: Eine funktional differenzierte Gesellschaft gewinnt ihre Rationalität daraus, dass unterschiedliche Funktionssysteme wie Wirtschaft, Recht, Politik sich gegenseitig in ihrer Macht begrenzen und in Schach halten. Durch die von Margaret Thatcher und Ronald Reagan eingeleitete Selbstkastration der Politik ist diese Heterarchie der Funktionssysteme und ihrer Entscheidungskriterien zugunsten der hierarchischen Überordnung der Wirtschaft verändert worden.

Der Ruf nach der Politik, um das Gleichgewicht der Systeme wiederherzustellen? Das ist für einen Systemtheoretiker eher ungewöhnlich. Interventionen der Politik in die Wirtschaft richten, so lässt es sich den Schriften von Niklas Luhmann entnehmen, eher Schaden an als das sie nützen. Ist die Vorstellung einer Heterarchie der sozialen Systeme utopisch? Das wäre letzlich schlecht für die Zukunft der funktional differenzierten Gesellschaft – oder aber: die soziologische Systemtheorie taugt einfach nicht als Ratgeber in der gegenwärtigen Krise.

Dann doch lieber Kapitulation

Der Kapitalismus scheint sich derzeit zu zerlegen. Eine Milliardärin vergießt Tränen, um an staatliche Gelder zur Rettung ihres überschuldeten Familienunternehmens zu kommen. Banker geben sich auf einmal ungewohnt kleinlaut und gestehen Fehler ein. Verkehrte Welt. Gestern noch wurde uns eingebläut, das System sei ohne Alternative. Praktisch heilig. Jetzt ist es marode und kämpft ums Überleben. Eine Zeit, in der man noch mehr als sonst nach Orientierung sucht. Zumindest mir geht das so, weshalb ich des Öfteren zu Texten greife, die sich die Freiheit nehmen, das kapitalistische System einfach mal in toto abzulehnen. So etwa zu Dietmar Daths „Maschinenwinter“. Verführt hatte mich seine flotte Situationsbeschreibung in der Januarausgabe der Konkret: „Obermarx? Ach was.“. Schade eigentlich, aber was mir in der Kurzfassung sehr gefallen hatte, wurde mir in seiner längeren Form schnell fad.

Der Satz, nach dem ich mich – vorerst – vom „Maschinenwinter“ verabschiedet habe, ist auf Seite 27 zu lesen und lautet:

Wo ein Mensch sagt: „Ich habe diese oder jene Forderung , weil ich bei der Bildung von mehr Reichtum, als meine Gesellschaft zur Selbsterhaltung braucht, diese oder jene Rolle spiele – als Sklavin, Sklavenbesitzer, Lohnarbeiter oder Physikerin“, wird Wichtigeres gesagt, als jeder Satz sagen kann, der mit: „Ich als Mutter, als Rothaariger, als Normannin, als Hindu…“ anfängt.

Schon recht – „gähn“.

Nicht aufgeben! Ich greife zu noch härterem Stoff: „Nie war ich furchtloser“, die Autobiografie von Inge Viett. Viett, ehemals Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, beschreibt darin ihren Werdegang. Im Verlaufe einer Kindheit voller Ohnmacht bei einer schrecklichen Pflegemutter in Norddeutschland lernt die kleine Inge sich zu wehren. Alt genug geworden, bricht sie aus. Vom platten Land verschlägt es sie nach Berlin, wo ihr Kampf gegen willkürliche Autorität Fortsetzung findet. Nicht mehr alleine
– sie agiert jetzt zusammen mit anderen Revolutionären („Für die einen war es die Stadtguerilla, für die anderen die vermutlich böseste terroristische Gruppierung der Welt“, oder so ähnlich). Der Gegner ist jetzt nicht mehr „die Frau“, so nennt Viett die verhasste Stiefmutter, sondern der Westdeutsche-Staat: das „verachtete System“. Eine wilde Zeit inklusive LSD-Trips, erfolgreicher Politikerentführung zur Freipressung von inhaftierten Genossen und militärischer Ausbildung im Irak.

Einige „Ehemalige“ haben es im wiedervereinigten Deutschland ja zu etwas gebracht. Sie werden zu Beckmann und Kerner ins TV eingeladen und geben gerne  Auskunft. Reumütige Wichtigtuer zumeist. Viett ist standhaft geblieben. Sie hatte sich vor den staatlichen Häschern in die bürgerliche Existenz in den Grenzen eines anderen Staates, der DDR, gerettet. Nach dem Fall der Mauer musste sie noch einige Jahre im Knast sitzen. Doch entschuldigen will sie sich für ihren antikapitalistischen Kampf bis heute nicht. Das ist es nicht, was sie mir unsympathisch macht. Viett verachtet das bürgerliche Spießertum und ist doch selbst kaum besser. „Schwein oder Mensch“, lautet ihre Devise. Auf ihren Kampfnamen („Intissar“, der Sieg), den sie von ihrem arabischen Militärausbilder beim Tötenlernen im Jemen erhält, ist sie stolz. Und mehr noch als die BRD scheint sie Israel zu hassen. Die Art und Weise wie Viett ihre Abneigung gegen Israel kaschiert zum Audruck bringt, ist dabei schlicht abstoßend. Während ihrer militärischen Ausbildung im Jemen schlägt ein arabischer Kämpfer dem anderen versehentlich den Gewehrkolben auf den Kopf. Es kommt zu einem fremdsprachigen Dialog, den sich Viett von ihrer Gefährtin Rasha übersetzen lässt. Hierzu erfährt der Leser auf Seite 162 folgendes:

Niedergestreckt, mit geschlossenen Augen, überwindet Abdelatif stumm den ersten Schmerz, öffnet die Augen und spricht einige Worte zu dem über ihm stehenden, erschrockenen Nabil. Er sagt es in einer seltsam erstaunten, ganz ruhigen Weise, daß ich Rasha frage, was er gesagt hat. Sie übersetzt mir: „Warum schlägst du mich, bist du ein Israeli?“

„Nein“, verbessert Said, der uns zugehört hat, „Abdelatif hat gefragt: Warum schlägst du mich, bin ich ein Israeli?“

Und wie verhält sich Viett zu diesem kleinen Übersetzungsproblem? Sie hält sich bedeckt: „Zwei sehr ähnliche Sätze, zwei sehr verschiedene Bewußtseinslagen“, lautet ihr nebulöser Kommentar. Sie muss nicht klarer werden, der Leser wird auch so nachdenklich zustimmend nicken.

Das Buch liest sich flüssig und ist kurzweilig. Darin ähnelt es vermutlich Kerkelings populärer Aussteiger-Beichte „Ich bin dann mal weg“. Lernen möchte ich von beiden nichts fürs Leben.

Was bleibt? Nichts Erhellendes, zur Ernüchterung reicht es aber auch nicht mehr. Sollen die Dinge doch kommen, wie sie kommen sollen. Es bleibt spannend. Und Tröstliches hatte der heutige Tag dann ohnehin noch parat. In der fabelhaften Frankfurter Stadtbibliothek fiel mir Tocotronics herrliches Album „Kapitulation“ in der Live-Fassung in die Hände. Also letztendlich doch noch eine (musikalische) Antwort auf die Frage wie es weitergehen soll: „Kapitulation, oh, oh, oh“.

Bergtour Juni 2008

Einen guten Teil meines „tariflichen Erholungsurlaubs“ habe ich 2008 auf einer Bergtour in den Stubaier Alpen verlebt. Die Tage im Gschnitztal waren einfach Klasse: Von der Innsbrucker Hütte (2369) zur Bremer Hütte (2411 m) und dann zurück ins Tal nach Gschnitz.

Einige Impressionen der Bergtour – wenn ich mir die schönen Fotos von Johannes so anschaue, hör ich wie der Berg nach mir ruft 😉

[googleMap name=“Bremer Hütte“ width=“450″ height=“450″]6150 Gschnitz‎, Austria[/googleMap]

Feminismus 2.0 und die Google-Universität

Vor einem Monat hatte ich plötzlich erstaunlich viele Zugriffe auf einen Text auf meiner Website. Es waren insgesamt über 140 Besuche, alle für Mitte April registriert. Sämtliche Besucher kamen aus Ostdeutschland auf meine Seite – Schwerpunkt Jena. Der gefragte Text trägt den Titel: „Feminismus 2.0 – Plädoyer für eine emanzipatorische Neuausrichtung des Feminismus“.
Gut, dachte ich mir, in Ostdeutschland denkt man also intensiv über moderne Formen des Feminismus‘ nach. Nachholbedarf. Schön. Tagträumend sah ich, wie mein Text als Feministisches-Manifest an die Massen verteilt wird, Debatierrunden meine Gedankengänge in heißem Hin und Her besprechen und kritisieren.

Die Wirklichkeit war – leider – viel banaler. Wie ich inzwischen herausfand, liege ich mit dem Schlagwort „Feminismus 2.0“ an achter Stelle der entsprechenden Google-Ergebnisseite. Etwas unterhalb von meinem Eintrag ist auch der Verweis auf ein Seminar an der Universität Jena zu finden: „Geschlecht Macht Ungleichheit – Zur Soziologie der Geschlechterverhältnisse“. Dozenten: Dr. Silke van Dyk und Dr. Jörg Oberthür.
Um an dem Seminar teilnehmen zu können, mussten die Studenten unter anderem einen Essay schreiben zum Thema … na, welches wohl? Genau: „Feminismus 2.0. oder Was ist Feminismus heute?“ Abgabetermin: 21.04.2008. Aha.

Somit werde ich also nicht als Wegbereiter eines neuen Feminismus‘ in die Geschichte eingehen. Na ja, vielleicht habe ich es ja wenigstens geschafft, dass einige Studenten einen Platz in einem Gender-Seminar ergattern konnten (oder dieser ihnen verbaut wurde – wäre ja auch keine schlechte Sache bei den überfüllten Uni-Veranstaltungen).

Ein denkwürdiger Tag: Ackermann, Marx und Smith

Ein Tag, an den man vielleicht nochmal zurückdenken wird. Spiegel online vermeldet heute: „Kapitulation vor der Krise: Deutsche-Bank-Chef Ackermann glaubt nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes. Er fordert Regierungen und Zentralbanken zu gemeinsamem Handeln auf.“ Marx würde wohl lachen, wenn er es noch könnte, Adam Smith im Grabe rotieren … und wir schütteln nur noch verwundert unsere Köpfe 😉

Themenwechsel

Ich weiß es ist nervig, aber ich habe in letzter Zeit das Aussehen dieses Blogs mehrmals verändert. Nicht deshalb, weil ich die Abwechslung mag, sondern weil ich bislang nicht recht zufrieden mit dem Layout war. Jetzt, so scheint es, habe ich ein Theme gefunden, das von Dauer sein sollte – muss aber noch sehen, ob Usability etc. wirklich passen … 😉